Sandy ist mit ihrem rechten Hinterlauf in eine illegal aufgestellte Hasenfalle getreten.
Diese zog ihr die komplette Haut vom rechten Fuß.
Die Verletzung war so schwer, dass die Heilung mehr als 2 Monate lang andauerte und ihr Bein für ein gutes halbes Jahr verbunden werden musste.
2 Monate, welche uns nicht nur 4000 Pfund kosteten, sondern auch unzählige Nerven und Tränen. Tränen der Verzweiflung und Tränen der Erleichterung.
Dies ist die Geschichte eines Sommers. Des Sommers mit der Hasenfalle.
Bitte beachte, dass weiter unten im Text blutige und unschöne Bilder auftauchen. Den gesamten Wundverlauf findest Du ganz am Ende des Blogposts.
Wir schreiben den 11. Juli in Wickham, Südengland.
Wir wanderten am frühen Abend auf dem breiten Waldweg des 16 Kilometer langen Meon Valley Trails, welcher Teil des South Downs Nationalparks ist. Es waren feuchte 27 Grad. Die Sonne glitzerte durch das dichte Blätterdach über unseren schwitzenden Köpfen.
Sandy und Tia genossen den Abendspaziergang unter den schattenspendenden Bäumen.
Bereits drei Wochen arbeiteten wir als Haussitter in Knowle, ganz in der Nähe von Wickham. Es war unser letzter Spaziergang vor der Abreise ins 200 km nördlich gelegene Swindon, wo ein weiterer Haussit auf uns wartete. Diese folgenden beiden Handyfotos entstanden kurz vor dem Unfall. Wir wussten noch nicht, dass dies unsere letzte gemeinsame Wanderung für viele Wochen werden sollte.
Wir wanderten bereits über eine Stunde lang durch den Wald.
Entsprechend weit war unser Auto entfernt.
Die Hunde liefen frei um uns herum und schnüffelten auch mal am Wegesrand das Gebüsch ab.
Plötzlich bemerkten wir, dass Sandy gute 20 Meter hinter uns zurückfiel und stark humpelte. Wir glaubten an einen eingetretenen Dorn im Fuß und eilten zu ihr. Was wir sahen, verschlug uns jedoch die Sprache.
Die gesamte Haut ihres Hinterlaufs war weg. Einfach weg. Wir blickten auf das offene Fleisch, durch welches gut sichtbar, ihre Knochen und Sehnen hindurchschimmerten. Sie blutete, zitterte stark und stand unter Schock.
Wir wussten zunächst nicht, was wir tun sollten. Wir standen mitten im Wald. Das Auto war mehr als eine Stunde Fußweg entfernt. Genauso wie die nächste Ortschaft. Wir kannten niemanden in der Gegend, hatten keinen Handyempfang und keine Möglichkeit ein Taxi zu rufen oder jemanden um Hilfe zu bitten.
Wir wussten nicht, wie stark die Verletzung war, ob Adern durchgerissen wurden und Sandy in unserem Armen verbluten würde.
Wir wussten nur, dass wir nun laufen würden. So schnell wir konnten.
Ich zog mein T-Shirt aus und wickelte es zunächst um ihr Bein, um die Blutung zu stillen und die Wunde vor Dreck zu schützen. Dann ging eine Stunde der Qualen los.
Wir nahmen sie rücklings auf den Arm und trugen sie abwechselnd. Das heiße, schwüle Klima und die aufkommende Panik machten uns zu schaffen. Nach guten 30 Minuten Fußweg hatten wir zum ersten Mal Handyempfang und telefonierten Tierärzte ab. Kein leichtes Unterfangen. Der Empfang ging ständig weg und es war bereits nach 19 Uhr. Eine Tierklinik in der Nähe von Wickham hatte Notdienst und sagte uns zu.
Ich war körperlich und mental bereits am Ende und weinte in den Hörer. Auch Sandy war völlig überhitzt, hatte große Schmerzen und machte ein gequältes Gesicht, blieb aber still. Tia funktionierte in dieser Situation perfekt und übernahm Verantwortung für sich selbst. Wir hatten kein Auge für sie, also baten wir sie, einfach dicht hinter uns zu bleiben, was sie auch tat.
Als wir nach über einer Stunde endlich am Auto ankamen, klatschnass geschwitzt und körperlich völlig am Ende, setzten wir Tia auf die Rückbank und mich mit Sandy in den Kofferraum. Wir gaben allen zu trinken und fuhren sofort Richtung Tierarzt.
An Fotos habe ich in dieser Situation selbstverständlich nicht gedacht. Daher existieren auch keine vom Unfallgeschehen.
Die Wunde kurz nach dem Unfall sah schlimm aus. Fellfetzen hingen überall runter. Blut floss überall hin. Knochen und Sehnen schimmerten durch. Überall Erde und Dreck. Ich bin froh, dass ich dieses Foto nicht geschossen habe.
Das erste Foto schossen wir beim Tierarzt, vier Tage später. Das folgende Foto zeigt demnach die vier Tage alte, bereits gereinigte, rasierte und zweimalig verbundene Wunde.
In der Tierklinik angekommen, wurde Sandy gute zwei Stunden lang verarztet.
Wir durften nicht mit in den Behandlungsraum und ich rechnete schon mit dem Schlimmsten. Nach einer quälenden Wartezeit ging plötzlich die Tür auf und Sandy humpelte uns entgegen, ihr Bein in einen dicken blauen Sternchenverband gewickelt. Ich konnte kaum glauben, dass sie auf ihren eigenen Füßen stand.
Der Tierarzt bestätigte unseren Verdacht einer Tierfalle.
Die Haut war messerscharf abgetrennt worden. Die Diagnose war ein sogenannter “Hautdefekt in voller Dicke”, in der Größe von 10×15 cm. Das bedeutet, dass alle Hautschichten komplett weg sind und nur noch Fleisch und Knochen über bleiben.
Sandy würde eine Hauttransplantation benötigen, so sagte man uns. Das würde von alleine nicht mehr zugehen.
Ab jetzt würde sie alle 48 Stunden einen Verbandswechsel beim Tierarzt benötigen. Und das die nächsten 3 – 6 Monate lang, je nach Heilungsverlauf und Transplantationsverfahren.
Sandy durfte ab jetzt nur noch 5 Minuten am Stück gehen und stehen. Muss den ganzen Tag liegen. Durfte nicht rennen. Durfte nicht spielen. Durfte auf gar keinen Fall nass werden. Würde der Verband auch nur ein kleines bisschen feucht, müsste er sofort wieder gewechselt werden, da er sonst beginnt zu scheuern und Entzündungen hervorzurufen. Wechseln des professionellen Pfotenverbandes geht ausschließlich beim Tierarzt.
Zum ersten Mal waren wir froh über diesen staubtrockenen Sommer.
Auch in kleine Wassertropfen durfte sie nicht treten. Die Tropfen um den Trinknapf herum versuchten wir durch das Auslegen von Handtüchern auf allen Fliesen zu verhindern. Zutritt in die Küche wurde ihr ab sofort verwehrt.
Außerdem würde sie zwei Monate lang Antibiotika bekommen und bis zur Abheilung täglich Schmerzmittel einnehmen müssen. Von den unzähligen Tierarztbesuchen einmal abgesehen.
Über den gesamten Zeitraum hinweg blieb Sandy der Liebling aller Tierärzte. Sie ließ alles anstandslos über sich ergehen. Stand da wie eine Statue und ließ sich, ohne mit der Wimper zu zucken, das Bein verbinden.
Und das, obwohl ihr fremde Menschen grundsätzlich suspekt sind und sie sich von Fremden ungern anfassen lässt.
Und das, obwohl wir sehr häufig nicht mit ins Behandlungszimmer durften, da dies in England nicht sehr üblich ist.
Nicht im Traum würde sie daran denken, mit fremden Menschen mitzugehen oder ihnen überhaupt Beachtung zu schenken. Bat ich sie darum, mit der Krankenschwester mitzugehen, tat sie es. Auch wenn es ihr Angst machte, vertraute sie meinem Urteil. Ich hätte nicht stolzer auf sie sein können.
In unserem Ferienhaus angekommen, brach ich erst einmal in Tränen aus.
Drei Wochen vor dem Unfall kamen wir in England an. Wir wurden über die nächsten 6 Monate für 5 Haussits gebucht. Einer davon in Nordirland. Am Morgen nach dem Unfall war bereits der erste Umzugstag. Es warteten zwei Magyar Vizslas und ein halber Hektar Land. Lange Autofahrten. Umzüge. Neue Hunde. Stress pur für die verletzte Sandy, einen Tag nach ihrem Unfall. Ein festes zu Hause, zu welchem wir zurückkehren könnten, haben wir nicht. Mein schlechtes Gewissen expandierte ins Bodenlose. Sandy tat mir so leid und ich gab mir die Schuld für alles was war, noch kommen und jemals sein wird.
Ich kontaktierte sofort die Hausbesitzer in Swindon.
Ich erzählte ihnen, was geschehen war und welch eine Rücksicht nun auf Sandy genommen werden musste.
Sie reagierten vorbildlich und machten sofort die nächsten Arzttermine bei ihrem Tierarzt für uns aus. Denn ab jetzt hieß es, alle 48 Stunden zum Verbandswechsel. Für die nächsten Monate.
Lieber hätte ich eine mehrmonatige Ferienwohnung genommen. Unmöglich jedoch, so kurzfristig und mitten in den englischen Sommerferien, während tausende Euro Tierarztrechnungen auf uns zukamen.
Unser Erspartes war in Windeseile aufgebraucht und wir arbeiteten wie die Ackergäule, um alles zu finanzieren. Das klappte nur mit der Möglichkeit des kostenlosen Wohnens.
Zum ersten Mal kostete ich die Schattenseiten des Nomadendaseins in vollem Umfang. Nie zuvor sehnte ich mich so sehr nach einem festen Zuhause.
Sandy hasste ihren fingerdicken Verband.
Sie weigerte sich anfangs ihre Geschäfte humpelnd an der Leine zu erledigen. Also leinten wir sie ab und ließen sie auf ihren drei Beinen selbst entscheiden, wo sie sich hinsetzen wollte.
Durch starke Schmerzmittel schien sie relativ schmerzfrei zu sein. Immer wieder forderte sie uns zum Spielen auf und wollte ihre alltäglichen Haken und Purzelbäume schlagen, was wir mit blutenden Herzen verbieten mussten.
Mehr als 5 Minuten am Stück durfte sie nicht laufen. Die Frustration und ständigen Verbote zehrten sichtlich an ihr, auch wenn sie es uns gegenüber nie zugab.
Das Nervigste an unseren kurzen Läufen waren jedoch fremde Hunde.
Wir riefen den Besitzern grundsätzlich zu, dass unsere Hündin verletzt sei und nicht rumhampeln oder spielen darf. In 90 % der Fälle war es den anderen Hundebesitzern jedoch nicht möglich, ihren Hund zurückzurufen. Und so hingen uns ständig fremde, herum springende, manchmal kläffende Hunde am Hintern, welche ich den Besitzern nicht nur dreimal mit besten Wünschen zurück in die Hand drückte.
Mit gesunden Hunden schon nervig. Mit verletzten Hunden jedoch ein absolutes No-Go, da bekomme ich wirklich Wut. Hunde, die keinen funktionierenden Rückruf haben, gehören an die Leine! Völlig egal, wie freundlich die sind. Da gibt es absolut keine Diskussion. Hunde haben fremden Leuten nicht auf den Sack zu gehn! Wir sind bereits in so viele unangenehme und teils gefährliche Situationen geraten, dass mich das Thema wirklich auf die Palme bringt.
An nassen Tagen oder früh morgens, bzw. spät abends, zogen wir ihr einen Kotbeutel mit Klettband über den Verband, damit er nicht nass würde. Nachts schlief sie mit Halskrause. Tagsüber blieb immer einer von uns bei ihr, damit sie sich nicht den Verband ab fummelte. Letzteres war ihr größter Wunsch, welchen sie sich eines schrecklichen Sonntagmorgens schon bald erfüllen sollte. Dazu später.
Die erste Umzugsfahrt verlief problemlos.
Wir legten Sandy in ihr Plüschbett, da dies ihr Lieblingsbett ist und wir sichergehen wollten, dass sie etwas mehr Halt im Auto hat und sich so wenig wie möglich bewegt. Zudem sollte sie ihren eigenen Bereich haben, damit Tia nicht versehentlich auf ihr Bein tritt. Später kauften wir eine Plastikschale als Begrenzung. Lieber noch hätte ich einen Kennel mit Trenngitter gekauft. Dies scheiterte jedoch am Platz und an der Logistik. Ich habe mir vorgenommen, dies zu einem späteren Zeitpunkt zu verwirklichen, um mehr Sicherheit zu gewährleisten.
Die beiden Vizslas, Fleur und Fred, waren sehr nette und ruhige Hunderentner.
Sie hießen Tia und Sandy willkommen und teilten alle Räumlichkeiten anstandslos mit ihnen. Das Haus war riesengroß. Sandy und Tia bekamen ihr eigenes Wohnzimmer. Das Grundstück war wie ein massiver Park angelegt. Somit brauchten wir das Grundstück mit Sandy nicht mehr zu verlassen, was uns, aufgrund vieler unangenehmer Hundebegegnungen, mehr als lieb war.
Der Garten war so riesig, dass wir dort mit ihr spazierten und sie den Rest des Tages in der Sonne vor duftenden Lavendelblüten vor sich hin dösen konnte. Gleich ans Gartentor grenzte ein Wald- und Seegebiet. Dort führten wir Tia und die Vizslas spazieren. Allerdings immer getrennt. Einer von uns blieb grundsätzlich bei Sandy, um ihr jeglichen emotionalen Stress zu ersparen.
Sandy ging es, bis auf ihre Verletzung, grundsätzlich gut.
Ich entschloss mich jedoch dazu, in der Akutphase ihrer Wundheilung, ihre Futterration um 1/3 zu erhöhen. Nicht weil sie zu dünn war, sondern weil ich ihrem Körper signalisieren wollte, dass er wundheilungstechnisch in die Vollen gehen kann. Er sollte sich so gut versorgt wissen, dass er garnicht erst darüber nachdachte, an der Wundheilung zu sparen.
Ähnlich wie im Bodybuilding. Der Körper soll an gewissen Stellen aufbauen und nicht mal auf die Idee kommen, irgendwo einen Mangel zu vermuten. Hochwertig gekocht haben wir für unsere Hunde schon immer. Die optimale Versorgung mit allen Nährstoffen ist maßgeblich an einer guten Wundheilung (und an allem anderen) beteiligt. Da Sandys fantastische Wundheilung alle Tierärzte überraschte und ich mich in meinem Tun bestätigt fühlte, schrieb ich in dieser Zeit einen Blogartikel über meinen Weg der Hundeernährung, welcher H I E R nachzulesen ist.
Tatsächlich nahm Sandy im Wundverlauf ein ganzes Kilo zu. Laut Ärzten war sie jedoch immernoch im Normalgewicht, was mir selbstverständlich sehr wichtig war. Keineswegs wollte ich sie ins Übergewicht treiben, dem Körper nur einen Anstoß in die richtige Richtung geben.
Das erste Foto der Wunde wurde vier Tage nach dem Unfall geschossen.
Seiher dokumentierte ich den Wundverlauf bei jedem Verbandswechsel.
Da wir im Zuge des Wundverlaufs durch unsere Umzüge mehrfach den Tierarzt wechselten, ließ ich jedem neuen Arzt vorab die fotografische Wunddokumentation und die Medical History des vorherigen Tierarztes per E-Mail zukommen.
Dies war jedes Mal ein ganz schöner Aufwand. Viele Tierärzte nahmen keine neuen Patienten an. Wir mussten viel herumtelefonieren. Andauernd wurde die angekündigte Medical History nicht wie versprochen von Tierarzt zu Tierarzt versendet. Nicht bei jedem Tierarzt fühlten wir uns auf Anhieb wohl. Einige nahmen den dreifachen Satz des Vorarztes. Und zweimal mussten wir sonntags in eine Notklinik. Insgesamt waren von Anfang bis Ende des Wundverlaufs sechs verschiedene Tierarztpraxen beteiligt.
Die Wunde heilte so fantastisch, dass nach drei Wochen entschieden wurde, eine sekundäre Heilung zu versuchen. Das bedeutet, die Wunde von alleine zuwachsen zu lassen und nur mit Verbandswechseln, Antibiotika und Schmerzmitteln zu unterstützen.
Bei einer derartigen Wundgröße besteht jedoch das Risiko, dass die Wunde vernarbt und zu eng zusammenwächst und somit die Bewegung des Hundes auf Dauer eingeschränkt. Da die Wundheilung jedoch gut aussah, wollten wir der Haut das Trauma und Risiko einer Transplantation ersparen.
Während die eigentliche Wunde gut heilte, begann die gesunde Haut unter dem Dauerverband zu reagieren. Das Bein wurde richtig wund und der Verband schrubbte regelrecht Löcher in die Haut. Trotz des dicken Watteposters und unseren Versuchen, Sandy so ruhig wie möglich zu halten, reagierte ihre gesunde Haut stark. Viel machen konnten wir nicht. Der Verband musste ja darauf bleiben. Wir konnten nur versuchen, Sandy ruhig und trocken zu halten.
Im Folgenden nun die Wundheilung während unseres Aufenthalts in Swindon über den gesamten Juli.
Eines schrecklichen Sonntags entschied Sandy, dass sie ihren Verband nicht mehr tragen wollte.
Sie schlief in der ersten Woche nach der Verletzung noch mit Halskrause im Wohnzimmer, neben Tia.
Als wir eines Morgens ins Wohnzimmer kamen, der Schock: Sandy hat sich in fein säuberlichster Kleinstarbeit über Nacht den gesamten Verband ab gefummelt. Die eigentlich gut sitzende Halskrause muss sie sich irgendwie abgestreift haben.
Sandy lag nun mit ihrem offenen, blutenden Bein auf dem haarigen Wohnzimmerteppich. Und nicht nur das. Neben ihrem Bett war ein großer Kotzfleck, in welchem wir ihre dicke Wundauflage ausmachten. Sie wollte nicht bis zum Frühstück warten, fraß ihre von Wundwasser durchtränkte Wundauflage und kotzte sie irgendwann wieder aus.
Das Risiko für Infektionen durch Dreck in der Wunde war riesig.
Es hätte sie ihr Bein kosten können. Ich reinigte die Wunde grob mit Flaschenwasser und einer Pinzette und brachte einen laienhaften Verband aus unserem Autoverbandskasten auf. Dann telefonierten wir Tierkliniken ab, denn es war Sonntag und unser Tierarzt hatte zu. Wir fuhren schließlich in eine weiter entfernte Klinik, um den Verband erneuern und die Wunde professionell reinigen zu lassen. 200 Pfund kostete dieser sonntägliche Spaß. Erstaunlicherweise infizierte sich die Wunde nicht und heilte weiter friedlich vor sich hin. Noch erstaunlicher war, dass die Außentemperatur 38 Grad betrug und unsere Klimaanlage just an diesem Sonntag ausfiel. Wir benetzten Sandys Fell und unsere eigenen Häupter mit Wasser, packten sie auf den Rücksitz und hofften, dass wir keinen Hitzeschlag bekommen würden.
Nach diesem Malheur entschieden wir uns, Sandy von nun an, auch mit Halskrause, nicht mehr aus den Augen zu lassen.
Wir positionierten ihr Bett ab jetzt neben dem unseren. Normalerweise schlafen unsere Hunde nicht im Schlafzimmer, sondern im Wohnzimmer. Es war eine Umstellung für uns alle.
Sandy war zu dieser Zeit eine sehr laute Schläferin. Sie ließ im Schlaf regerecht die Sau raus. Jede Nacht wachten wir mehrfach von ihrem Bellen, Knurren und Wuffen auf, während sie wild vor sich hin träumte. Einige Male brüllte sie im Traum aus vollen Leibeskräften, was zur Folge hatte, dass wir senkrecht im Bett standen und glaubten, sie würde von einem Einbrecher gelyncht. Sie bellt im Wachzustand überhaupt nicht. Wirklich absolut garnicht! Aber im Schlaf macht ihr keiner etwas vor. Ob es an den Tabletten lag oder an ihrem seelischen Ungleichgewicht, wissen wir bis heute nicht.
Außerdem entschieden wir uns für eine Haustierkamera.
Sobald wir auch nur kurz den Raum verließen, begann Sandy sich am Verband herumzufummeln.
Alleine ein einmaliges Nasslecken würde uns nicht nur 200 Pfund kosten und einen sofortigen Tierarztbesuch zur Folge haben. Ein verfrühter Verbandswechsel würde die Wundruhe stören, welche bis zum eigentlichen Verbandswechsel eingehalten werden sollte. Es war also elementar wichtig, dass sie nicht an den Verband ging und eine Dauerhalskrause halte ich für Quälerei.
So ließen wir, etwa beim Kochen in der Küche, immer die Kamera im Handy laufen. Ging Sandy an die Wunde, brüllten wir ein gesalzenes „Sandy Stop It“ aus der Küche heraus.
Sandy war anfangs empört, dass wir sehen konnten, was sie da machte, obwohl wir gar nicht im Raum waren. Schnell begriff sie, dass unsere Augen, gottgleich, überall zu sein schienen. Da sie sich unserer Psychokinetischen Fähigkeiten bewusst wurde und es sich deshalb nicht mit uns verscherzen wollte, stellte sie das ständige Verbandsfummeln rasch ein.
Woche um Woche verging.
Wir hatten unser Leben vollends auf Sandy eingestellt.
Geplante Ausflüge, Festivalbesuche, Wandertouren, Gestütsbesichtigungen, Kino, Museum, Essengehen, nichts war mehr möglich. Sicherlich hätten wir Sandy einfach in einen Käfig sperren, die Halskrause maximal eng schnallen und mit dem Auto davon düsen können.
Wir empfanden jedoch, dass dies absoluten Stress für sie bedeutet hätte und wollten ihr so etwas nicht zumuten. Zumal wir sie bereits dem Stress ständiger Umzüge und neuer Betreuungshunde aussetzten.
Jeglicher Stress verlangsamt die Wundheilung, so war mein Empfinden. Sandy sollte so entspannt und zufrieden sein, wie nur irgend möglich. Und ich glaube, das war sie. Nicht zuletzt dank des wunderschönen Wetters, des riesigen Sonnengartens und der netten Hundegesellschaft. Wir hatten wahnsinniges Glück, dass wir die erste Phase ihrer Wundheilung auf solch einem Anwesen verbringen durften.
Im weiteren Wundheilungsverlauf wechselten wir mehrfach die Unterkünfte.
Wir traten unsere Arrangements als Haussitter an. Sandy hatte sich mittlerweile an ihren Klumpfuß gewöhnt und lief ohne zu humpeln.
Da es ihr immer besser ging, weiteten wir unsere Spaziergänge von 5, über 10, bis zu 20 und 30 Minuten pro Tag aus. Was ging und was nicht ging, verriet uns der Verbandswechsel alle 48 Stunden. Tatsächlich waren alle normalen Läufe bis zu 30 Minuten (pro Tag!) problemlos möglich. Alles, was über 30 Minuten hinausging, wurde mit einem wunden vorderen Hinterbein quittiert. Der heiße Sommer sorgte für Schweißfüße (ja, auch bei Hunden) und diese scheuerten leider bei jedem Schritt. Dennoch waren wir unglaublich dankbar über unsere ersten gemeinsamen Spaziergänge, welche, dank unseres etwas späteren einmonatigen Haussits in London, zwar nicht länger, aber immer spektakulärer wurden.
Über Monate fieberten wir unserem allerletzten Tierarztbesuch entgegen.
Zwar mussten wir ab dem 2. Monat nicht mehr alle zwei Tage zum Verbandswechsel, sondern konnten diesen auf alle drei bis vier Tage ausdehnen, dennoch waren wir, und vor allem Sandy, der vielen Arztbesuche müde. Wir wollten einfach wieder normal leben und laufen können. Wir hofften bei jedem Arztbesuch, er sei der letzte und die verdammte Wunde wäre einfach zu.
Sie schien tatsächlich an den Seiten zusammenzuschrumpfen.
Die folgenden Fotos zeigen Sandys Wundheilung bis kurz vor der Heilung.
Und dann kam der Tag der Tage.
Der 23. August. Wir glaubten, es würde sich um einen üblichen Verbandswechsel handeln. Die Wunde war noch nicht zu. Es gab noch eine kleine offene Stelle. Unter normalen Umständen hätten die Ärzte weiter verbunden, bis die Wunde ganz geschlossen war. Die eigentlich gesunde Haut unter dem Verband war jedoch so wund und geschwollen, dass entschieden wurde, dass Sandys Verband ab kommt und sie an der Luft weiter heilen muss. Die Komplikation der gesunden Haut hat keinen Verband mehr rechtfertigt.
Doch Freiheit war uns noch lange nicht vergönnt.
In den letzten zwei Wochen der Wundheilung gingen wir noch einmal durch die Hölle. Da Sandys Wunde nun offen lag, durfte sie sich von nun an noch viel weniger bewegen, als ohnehin schon.
Auch ihre Ballen sahen schrecklich aus. Waren mit dickem gelben Wundschorf überzogen. Dazwischen ein dickes Büschel lang gewachsene Fußhaare, zwischen krumm und schief gewachsenen Krallen.
Sie durfte nicht mehr in den Garten. Nicht mehr spielen. Nicht auf dem staubigen Boden liegen (was wir ohne Kennel nur mit 24/7 Anwesenheit verhindern konnten). Sie musste konstant ihren Kragen tragen und auf einem mehrmals täglich zu wechselnden, sauberen Handtuch liegen. Mehr als auf einem Handtuch liegen durfte sie nicht.
Die Wunde blutete andauernd. Auch die geheilte Haut um die offene Stelle war völlig instabil. Wenn Sandy auch nur kurz darauf saß oder mit dem Bein leicht über ihr Bett robbte, riss schon wieder irgendwo etwas auf. Mal davon abgesehen, dass sofort Dreck reinkam, seien es auch nur Haare vom Handtuch und Staub aus der Luft.
Die letzte Phase der Heilung war für unsere Nerven die anstrengendste und für Sandy die absolut frustrierendste. Theoretisch hätten wir sie mit einer Zwangsjacke ans Bett fesseln müssen. Und ständig, überall Blut. Egal wie sehr wir aufpassten, immer war die Wunde dreckig und von Haaren verklebt.
Mein Gefühl sagte mir, dass das alles so nicht richtig war. Ich entschied, meinem Gefühl zu folgen, gegen den Rat des Tierarztes. Nach zwei Tagen und Nächten Hölle verband ich Sandy selbst.
Es fühlte sich einfach nicht richtig an, die Wunde auf diese Weise heilen zu lassen und das ganze Haus mit Blut zu verschmieren.
Bereits Wochen zuvor schulte ich mich mithilfe von Videos und unseren Tierärzten im Anlegen eines professionellen Pfotenverbandes und bestellte mir alle nötigen Utensilien dazu.
Das, was ich tat, war jedoch kein voller Pfotenverband. Ich sparte das wunde Vorderbein und die wunden Ballen aus und verband ausschließlich mittig.
Die Regel, dass ein Verband immer übers erste Gelenk gehen muss, missachtete ich dabei, denn Sandys Gelenk war durch die Verbände dick geschwollen.
Dieses musste ich wirklich freilassen.
Die Wunde selbst jedoch wollte ich schützen. Solange sie blutete, schützte ich sie Tag und Nacht mit einer nicht haftenden Saugbinde, welche ich relativ locker um das Bein legte und mit Verbandskleber befestigte.
Ich wechselte die Verbände jeden Morgen und jeden Abend.
Mein Gefühl sollte mir recht geben. Seit ich selbst anfing, zu verbinden, wurde alles deutlich entspannter. Die Wunde konnte ohne Komplikationen weiter heilen und Sandy gewann an Lebensqualität zurück.
Und irgendwann kam der Tag, da fiel die Kruste ab und das Ding war zu.
Sandy war frei. Wir waren frei. Wir hatten es geschafft. Monate der Qualen lagen hinter uns. Tausende von Pfund später war die verdammte Wunde endlich zu.
Doch -zu- bedeutete nicht, dass sie nicht schnellsten wieder aufreißen könnte.
Das Narbenbett war absolut instabil. Fühlte sich an wie ein weicher Schwamm. Ein kleiner Purzelbaum im Garten und es war wieder ein fleischiger Riss drin, welcher optisch einem Matschloch glich.
Einmal am Ast gestreift und es entwickelte sich ein dicker Bluterguss. Und eines Nachts hackte Sandy sich mit einer Kralle ein kleines Loch in die Narbe.
-Zu- bedeutete also nicht, dass Sandy wieder laufen konnte wie sie wollte. Wir mussten die Wunde nach wie vor schützen. Und so entschied ich mich, ihr zu jedem Spaziergang zwei Lagen Haftbinde um die Wunde zu wickeln.
Regnete es, trug Sandy nach wie vor eine Tüte ums Bein, denn nasse Verbände scheuern. Und gab es Komplikationen durch eine offene Stelle, polsterte ich die Wunde mit einem Stück nicht haftender Saugkompresse ab und reinigte diese mit Kokosöl.
Sandy war nach diesen Tagen des strikten ans Bett gefesselt seins unglaublich energetisch und freute sich riesig, als sie endlich wieder spazieren gehen durfte.
Der erste Spaziergang, an welchem sie mal wieder flitzen durfte, brach Tia jedoch fast den Rücken. Die Hunde jagten sich über eine Wiese, wie sie es immer taten.
Sandy hatte jedoch die glorreiche Idee, bei Fullspeed voll in Tias ohnehin instabiles Hinterteil reinzukrachen.
Wir beobachteten diesen Moment. Es war definitiv kein Unfall, sondern pure Absicht. Sie entlud ihren aufgestauten Frust an Tia. Zwar nicht frontal aggressiv, sondern durch Arroganz und dezente Frechheiten.
Zufällig filmten wir den beinahe Unfall. Tia flog schreiend durch die Luft, prallte seitlich auf dem Boden auf und wund sich jämmerlich, bevor sie endlich wieder Halt gewann und auf ihren vier Pfoten stand.
Sandy bekam zeitglich noch Tias Kralle ins Auge. Es sah schrecklich aus. Passiert ist nicht. Den Rest des Spaziergangs musste Sandy bei Fuß laufen und auch Tia hatte erstmal die Schnauze voll.
Wir hatten es, als die Wunde zuging, einmal kurz ganz ohne Verband am Strand von Great Yarmouth versucht. Im Sand gab es keine Probleme. Im Dünengras wurde die Narbe gleich wieder zerkratzt und blutete sofort drauflos. Seitdem geht Sandy nur noch mit Haftbinde auf große Tour und ich schleppe immer Ersatzverbandsmaterial mit mir herum.
Und auch heute noch, im Herbst des Jahres 2022, in welchem ich diesen Text hier verfasse, trägt Sandy ihren Haftverband.
Nicht im Haus. Nicht im Garten. Auch nicht zur kurzen Pipirunde um die Ecke. Doch immer dann, wenn wir unsere große Runde drehen. Wenn wir stundenlang durch den Wald und über Wiesen flitzen. Wenn wir nach Mäusen buddeln und auf Bäume klettern.
Und doch sind wir vorsichtiger geworden. Machen uns größere Sorgen, wenn unsere Hunde mal durchs Gebüsch flitzen. Ja, verbieten dies sogar, an uns unbekannten Orten oder unübersichtlichen Stellen. Zeitweise häufiger als uns lieb ist. Als vielleicht gesund für uns ist.
Unsere Freiheit war mir immer das höchste Gut und das ist sie auch heute noch. Schon immer war mir bewusst, dass der Preis der absoluten Freiheit meiner Hunde, die Arbeit an ihrem perfekten Gehorsam ist. Damit ist vor allem gemeint, dass sie mir vertrauen, wenn ich ihnen sage, dass sie jetzt zu mir kommen müssen. Dass sie mir vertrauen, wenn ich ihnen sage, dass sie gewisse Dinge nicht essen dürfen. Gewisse Menschen nicht fürchten müssen. Gewisse Orte nicht betreten sollen. Gehorsam bedeutet für mich vor allem Respekt und Vertrauen in einer von tiefer Freundschaft, absoluter Ehrlichkeit und hundertprozentigem Respekt geprägten Beziehung.
Sandy, aber auch Tia, haben im Jahr dieser Verletzung viel durchgemacht. Haben viel zurückstecken müssen. Viel ertragen müssen. Viel Frustration erfahren. So einige meiner Tränen getrocknet, und ich auch ihre. Beide Hunde gehören zu den hochsensiblen, sehr lebhaften und lauffreudigen Exemplaren, welche gewöhnt sind, den halben Tag frei in der Natur herumzuspringen.
Beide Hunde haben diese schwere Zeit einfach großartig gemeistert.
Da wo mir die Geduld fehlte und die Nerven vergingen, haben sie ihre behalten. Weinte ich, lachten sie mir demonstrativ ins Gesicht. Niemals wurden sie böse. Niemals verzweifelten sie. Nicht, weil sie von Grund auf so konstruiert sind, ganz im Gegenteil, sondern weil sie spürten, dass wir, als Familie, alle in einem Boot sitzen und das Beste aus der Situation machen müssen.
Unsere Freundschaft ist durch diese intensive Zeit ins Grenzenlose gewachsen. Wir vertrauen uns blind. Wir sind in der Lage, die kleinsten Gesten des anderen zu lesen. Es gibt ganz einfach keine Missverständnisse mehr.
Und jetzt ist die Zeit gekommen, in welcher sie mir helfen müssen, das Vertrauen in die Freiheit zurückzugewinnen. Denn mein Trauma, als bekennende und leicht überempfindliche Angstpatientin, sitzt tief.
Doch ihre Freiheit ist ihr höchstes Gut. Und auch das meine. Daran erinnern sie mich jeden Tag, wenn sie mit strahlenden Gesichtern durch die Natur hüpfen und mich auffordern, meine Angst abzustreifen und es ihnen gleichzutun.
Im Folgenden noch einmal die komplette Wundheilung auf einen Blick. Im Anschluss ein paar Motion Pictures aus diesen traurigen, entbehrungsreichen und irgendwie doch schaurig-schönen Sommertagen.